Ich habe mich entschieden, in Australien zu bleiben. Seit Tagen nehme ich mir vor, einen Blog Artikel über meine Gedanken und zu meiner Situation am anderen Ende der Welt zu schreiben. Darüber, wieso ich mich entschieden habe, hier zu bleiben. Seit Tagen versuche ich, eine gewisse Struktur in mein persönliches durch das Coronavirus ausgelöstes Gedankenwirrwarr zu bringen. Meine Synapsen sind mit dieser neuen Situation allerdings etwas überfordert. Alles erscheint so komplex und jeden Tag kommen neue Gedanken oder Erkenntnisse hinzu. Deshalb fange ich diesen Blogartikel an einem Tag an, an dem die Situation für mich noch überschaubar und das Coronavirus in den Köpfen vieler noch nicht mehr als eine Grippe war.
Es war der 24. Februar,
als meine Mutter mir etwas zum Coronavirus schrieb. Darüber, dass es in Italien ganz schlimm sei. Zu diesem Zeitpunkt gab es dort ungefähr 220 Infizierte. Ich weiß nicht, ob ich es hätte glauben können, dass es fünf Wochen später um die 100.000 Infizieren sowie tausende Tote in Italien gibt. Zumindest hätte ich alles ernster genommen. Stattdessen antwortete ich:
“Also mich könnte das hier gerade nicht weniger interessieren 😀 Meine täglichen Sorgen sind: Wo gibt’s eine Dusche, hab ich genug Trinkwasser dabei, hoffentlich springt mir kein Känguru vor’s Auto, ist der Kühlschrank noch an, gibt’s hier einen gratis Campingplatz, wie eklig ist die Toilette und wie groß die Spinnen auf’m Klo!”
Zu diesem Zeitpunkt war es für mich schlichtweg nicht mehr als eine normale Grippe. Außerdem gab es in Australien erst 22 Fälle, von denen alle isoliert waren und man die Infektionsketten noch gut nachvollziehen konnte. Ich fühlte mich hier absolut sicher und das Coronavirus gehörte nicht zu meiner Lebenswirklichkeit.
Es war der 15. März,
als ich wiedermal zwei Nächte auf einem Campingplatz ohne Handyempfang verbracht habe. Als ich wieder Empfang hatte, öffnete ich sofort meine Tagesschau-App. Etwas, das für mich nach fehlendem Handyempfang sogar Vorrang vor Instagram bekommen hat.
“Fast 6.000 Infizierte in Deutschland”
“Ungefähr 300 Infizierte in Australien”
“Kitas, Schulen und Universitäten in NRW bleiben zunächst bis zu den Osterferien geschlossen”
Ereignisse schienen sich zu überschlagen. Ein paar Tage offline und man verpasst so viel. Die Welt kommt mehr und mehr zum Stillstand, während sich gleichzeitig alles so rasant entwickelt, dass man kaum mehr hinterherkommt…
Ich informierte mich intensiver über das Coronavirus. Dass es weitaus mehr als eine Grippe war, so viel stand für mich nun fest. Und auch, dass man die Ausbreitung zwar nicht stoppen, aber verlangsamen kann.
Zu Hause bleiben. Nicht mehr reisen. Heimkehren! Worte, die zunehmend mehr in den Medien auftauchten und in meinem Kopf umherschwirrten. Ich versuchte diese Gedanken beiseite zu schieben. Warum sollte ich nach Deutschland zurückkehren, wenn sich dort das Coronavirus mehr und mehr ausbreitet? Australien hatte um ein vielfaches weniger Infizierte. Die Bevölkerungsdichte ist geringer, man kann sich aus dem Weg gehen. Genügend finanzielle Ressourcen hatte ich auch und mein Visum ist noch bis September 2021 – mehr als 1,5 Jahre – gültig. Und was bedeutet überhaupt zu Hause? Ist das Ausstellungsland meines Reisepasses mein zu Hause? Oder mein Kia Campervan, in dem ich seit über einem halben Jahr lebe? Außerdem ist Australien ein Land mit einem relativ guten Gesundheitssystem und dank meiner Auslandskrankenversicherung war ich mindestens noch zweieinhalb Jahre krankenversichert.
Es war der 16. März,
als Deutschland seine Grenzen geschlossen hat. Ich weiß noch, wie wir als ich klein war, nach Polen gefahren sind und an der Grenze kontrolliert wurden. So lange ist es her. Und plötzlich werden Grenzen wieder geschlossen. Das Coronavirus schien Europa fest im Griff zu haben. Ich war froh, in Australien zu sein. Hier konnte ich mich (noch) frei bewegen. Weniger Infizierte. Eine riesige Insel.
Es war der 17. März,
als ich das erste Mal selbst indirekt vom Coronavirus betroffen war. Ich saß in der Stadtbücherei in Albany vor meinem Laptop. Draußen regnete es und ich schrieb an zwei Blogartikeln, die ich schon lange schreiben wollte. Als ich Fotos über meine Bootstour in Indonesien (hier gehts zum Artikel) hochgeladen habe und richtig glücklich damit war, zwei Artikel fertig geschrieben zu haben, bekam ich folgende Push-Mitteilung auf mein Handy:
“Das Auswärtige Amt entlässt weltweite Reisewarnung”
Ein Satz, der in einem Moment alles für mich komplett auf den Kopf gestellt hat. Mein Herzschlag verdoppelte sich, ich schaute meinen Freund an und mir kamen die Tränen. Folgende Gedanken schossen mir innerhalb von Sekunden parallel durch den Kopf:
Ich wusste bereits zuvor, dass meine Krankenversicherung bei einer Reisewarnung nur noch für zwei weitere Wochen greift, in denen man dan Zeit hat, das jeweilige Land zu verlassen. Macht auch Sinn. Denn natürlich sollte man sich nicht in Ländern mit Bürgerkrieg oder Nuklearstrahlung aufhalten. Aber eine weltweiten Reisewarnung? Ich konnte also nur in ein einziges Land zurückkehren: Deutschland!
Nach Hause zu fliegen war für mich allerdings keine Option. So viel stand fest. Seit 2018 habe ich keine Wohnung mehr und befinde mich auf Open-End-Weltreise. Klar hätte ich zu meinen Eltern gekonnt, die allerdings aufgrund des Alters auch der Risikogruppe angehören.
Außerdem hat Deutschland einen Tag zuvor die Grenzen geschlossen. Nur noch deutsche Staatsbürger konnten einreisen. Mein Freund kommt aus Holland. Er hätte dann also nach Holland zurückfliegen müssen. Wann würden wir uns dann wiedersehen? (Mittlerweile weiß ich, dass wir auch das irgendwie hätten möglich machen können, aber in dem Moment schien es unmöglich).
In Deutschland bräuchte ich natürlich auch eine Krankenversicherung. Da ich zuvor als Lehrer verbeamtet war, habe ich keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld, sondern kann nur Hartz 4 beziehen. Allerdings hatte ich aufgrund meines für die Weltreise angesparten Geldes ebenfalls kein Anrecht auf Hartz 4 (scheinbar zu reich…). Somit müsste ich meine Krankenversicherung in Deutschland auf unbestimmte Zeit zunächst selbst aus eigener Tasche zahlen, außer ich würde einen Job finden. Da aber auch alle Schulen geschlossen sind, hätte sich auch die Jobsuche eher schwierig gestaltet.
Und was passiert mit dem Campervan? Maximal zwei Wochen Zeit, um den Van zu verkaufen. Eher weniger. Aber an wen überhaupt? Vom Reisen wird abgeraten. Wer fliegt also jetzt noch nach Australien? Den Van einfach irgendwo stehen lassen für Monate? Insgesamt habe ich fast 5000€ für mein zu Hause auf Rädern gezahlt. Eine Menge Geld, das ich schon gerne eines Tages zum Teil wiedersehen möchte.
Gibt es überhaupt noch bezahlbare Flüge, die man als deutscher Staatsbürger in Anspruch nehmen kann? Denn in vielen Ländern konnte man nichtmal mehr den Transitbereich am Flughafen in Anspruch nehmen. Zu hoch war die Gefahr, die man plötzlich mit dem deutschen Reisepass ausstrahlte für viele asiatische Länder, in denen man eine Zwischenlandung hätte einlegen müssen.
Am Ende des Tages stand für mich fest, dass ich in Australien bleiben werde. Natürlich mit gültiger Krankenversicherung. Denn es gibt auch Auslandskrankenversicherungen, die man von unterwegs aus abschließen kann, wenn auch teilweise um einiges teurer! Ich hoffte einfach darauf, dass meine Auslandskrankenversicherung einsieht, dass eine weltweite Reisewarnung vielleicht etwas anderes ist, als sie in ihrem Kleingedruckten gemeint hat. Und ich hoffte und hoffe immer noch, dass zu Hause nichts passiert und ich dann hier festsitze!
Es war der 19. März,
als auch Australien sich dazu entschieden hat, die Grenzen für mindestens ein halbes Jahr zu schließen. Niemand kommt mehr rein, außer australische Staatsbürger.
Ein weiterer Grund für mich, zu bleiben, auch wenn das Coronavirus allmählich ebenfalls Australien in der Hand zu haben schien und auch mich mehr und mehr betraf.
Ich fühlte mich zunehmend unwohl bei dem Gedanken, mich weiterhin von A nach B zu bewegen. Wir meldeten uns bei Workaway an. Einer Plattform, auf der Reisende gegen einige Stunden Arbeit am Tag in den meisten Fällen gratis Unterkunft und Verpflegung erhalten.
Es war der 20. März,
als ich mit einer privaten Instagram Nachricht von STA-Travel* aufgewacht bin, dass der Versicherungsschutz auch über die 14 Tage hinaus für alle Versicherten verlängert wird. Mir ist ein riesiger Stein vom Herzen gefallen! Denn für mich sind vor allem zwei Versicherungen im Ausland unabdingbar:
- eine passende Auslandskrankenversicherung (hier gehts zu meinem Blogbeitrag zum Thema Auslandskrankenversicherung)
- eine Haftpflichtversicherung – vor allem, wenn man mit Drohne unterwegs ist (hier gehts zu meinem Blogbeitrag zum Thema Haftpflichtversicherung)
Auch wenn einige Tage bis zu dieser Nachricht vergangen sind und ich telefonisch jedes Mal aus der Leitung geschmissen wurde, hatte ich dennoch immer das Gefühl, dass sich STA-Travel für ihre Kunden bei der Allianz eingesetzt hat. Wenn von heute auf morgen tausende Reisende Anliegen haben, ist es nicht verwunderlich, dass das Beantworten von Mails länger dauert oder man niemanden erreicht. Auch die Info, dass Gespräche mit der Allianz stattfinden, war gegeben.
Funfact: Heute ist der 02. April. Und genau in diesem Moment als ich die letzten Zeilen geschrieben habe – 16 Tage(!) nach Veröffentlichung der weltweiten Reisewarnung – wurde auch endlich meine Mail von der Allianz beantwortet.
“Der Versicherungsschutz ist grundsätzlich bedingungsgemäß bei einer offiziellen Reisewarnung durch das Auswärtige Amt bis max. 14 Tage nach Bekanntgabe der Reisewarnung gegeben.
Da uns derzeit aber viele Anfragen von Kunden erreichen, die über den Anbieter STA eine Langzeitkrankenversicherung abgeschlossen haben, haben wir uns darauf verständigt, dass Sie, auch über den obengenannten Zeitraum hinaus, bis zu Ihrem Reiseende versichert sind, wenn Ihre Reise im April oder später endet. Sie brauchen hierfür keinen zusätzlichen Vertrag abzuschließen.”
Danke liebe Allianz, wie großzügig!…
Es war der 24. März,
als wir einen relativ günstigen Campingplatz ansteuerten. Wir wunderten uns zwar über das auf der Hauptstraße aufgestellte große Schild mit der Aufschrift “Campground closed”, fuhren aber dennoch zum Campingplatz. Geschlossen sah es hier nicht aus, wenn auch nicht sehr viele Menschen dort waren. Wir wollten ein paar Tage bleiben, Nachrichten an Workaway verschicken und die nächsten Schritte planen.
Zettel an den Toiletten informierten uns darüber, dass alle der gratis oder zumindest der günstigen Campingplätze der Gemeinden ab dem nächsten Tag bis mindestens Ende Mai aufgrund des Coronavirus geschlossen bleiben.
Wir riefen bei Camp Grace an. Dem Campingplatz, auf dem wir bereits vier Monate, während wir in Australien gearbeitet haben, verbracht haben und der ein bisschen wie zu Hause war. Camp Grace blieb für non-essential-travellers geöffnet. Also für Reisende, die keinen festen Wohnsitz in Australien haben. Am nächsten Tag fuhren wir los. Nach Hause, in unserem zu Hause!
Es war der 27. März,
als wir von allen Workaway Gastgebern, die wir angeschrieben haben, die Nachricht bekommen haben, dass sie uns leider aufgrund der momentanen Situation nicht helfen könnten. Zu groß war plötzlich die Angst in den Köpfen der Menschen, sich bei anderen Personen anstecken zu können.
Leider auch ein Stimmungsbild, das sich zunehmend in den sozialen Netzwerken widerspiegelte. Ich verlor mich immer mehr in den Kommentaren und Nachrichten von Backpackergruppen für Australien und Neuseeland. Backpacker, die Hilfe suchten, da sie aufgrund von geschlossenen Hostels oder Campingplätzen plötzlich keinen Ort mehr hatten, an dem sie bleiben konnten. Australier, die nicht verstehen konnten, wieso Backpacker nicht einfach nach Hause fliegen und ihnen teilweise sogar sehr direkt die Schuld an der Verbreitung des Coronavirus in die Schuhe schoben. Backpacker, die nach Hause fliegen wollten, dann allerdings aufgrund von gecancelten teuren Flügen auf Fluggutscheinen sitzen geblieben sind und nun kaum mehr Geld haben.
Vor allem Facebook schien plötzlich voller Hass zu sein. In neuseeländischen Facebook Gruppen (dort galt ein landesweiter Lockdown) versuchten Backpacker vergeblich, ihre Autos für einen Spottpreis loszuwerden, um nach Hause fliegen zu können. Einige Neuseeländer kommentieren dies folgendermaßen: “Wird euch ein Angebot zum Autokauf gemacht, nehmt dieses bitte an. Doch anstatt persönlich dort zu erscheinen, ruft folgende Nummer oder die örtliche Polizei an….” Natürlich sollte man sich an die Vorgaben halten. Solche Menschen hat dem Jahr 2020 allerdings gerade noch gefehlt!
Auf der anderen Seite gab es auch sehr viel Gutes online. Viele Menschen versuchten tatsächlich zu helfen und gestrandete Backpacker aufzunehmen. Idioten gibt es überall auf der Welt. Leider funktionieren unsere Gehirne häufig so, dass wir vor allem das Negative sehen.
So hatten auch wir extremes Glück. Da das Zahlen eines Campingplatzes für zwei oder sogar mehrere Monate einen großen finanziellen Verlust bedeutet hätte, fragten wir nach, ob wir vielleicht die Toiletten gegen gratis Unterkunft putzen dürften. Wir durften. Morgens gibt es eine gründliche Reinigung und alles, was man anfassen könnte, wird von uns mit medizinischer Desinfektion gereinigt. Nachmittags wird dann nochmal desinfiziert. Auch die Küche bekommt zweimal täglich eine Desinfektionsdusche von uns! Ich hätte nicht gedacht, dass ich einmal dankbar dafür sein werde, Toiletten putzen zu dürfen!
Später am Abend passierte leider noch etwas Schreckliches. Neben uns war ein junges Pärchen aus Frankreich. Sie weinte schon den gesamten Tag. Anfangs dachte ich, dass vielleicht deren Flug gecancelt wurde. Doch später am Abend fragte ich nach. Ihre Schwester starb ohne Vorerkrankungen mit nur 35 Jahren am Coronavirus. Zweimal war sie beim Arzt, wurde jedoch jedes Mal nach Hause geschickt, da ihr auch übel war und der Arzt der Meinung war, dass es sich deshalb nicht um Corona handelt.
Ich war absolut sprachlos und das Ganze hat mich sehr mitgenommen. Man liest von tausenden Toten. Hört es täglich. Weiß, dass Menschen sterben. Aber wenn plötzlich jemand vor dir steht, deren Schwester gestorben ist, dann ist das nochmal eine andere Nummer!
Es IST der 02. April…
Mittlerweile habe ich meine Facebook App vom Handy gelöscht. Viel zu häufig habe ich mich im Lesen von Beiträgen und Kommentaren verloren, die mir nicht gut getan haben. Zu viel Unwissenheit, Angst und Hass. Zu viele Internet-Trolls. Natürlich auch hilfsbereite Menschen. Dennoch lebt es sich für mich im Moment leichter ohne Facebook Gruppen!
Ich verlasse den Campingplatz momentan nur zum Einkaufen. Bei Aldi gibt es jetzt Security. An den Kassen sind Markierungen auf dem Boden, wo man stehen soll. Die meisten Menschen kaufen hier mit Mundschutz und Handschuhen ein. Vor ein paar Tagen war ich beim Arzt wegen einer Blasenentzündung. Arztbesuche werden zum besonderen Erlebnis. Absperrband überall zum Schutz der Mitarbeiter. In Busselton gibt es vier offiziell bestätigte Fälle. Die Dunkelziffer dürfte aufgrund des eingeschränkten Testens um ein vielfaches höher sein.
Wir putzen immer noch die Toiletten und haben ein gratis Upgrade in einen Wohnwagen bekommen. Fast alle benachbarten Campingplätze sind mittlerweile übrigens geschlossen. Ich merke, wie ich gerade die neu gewonnene Zeit extrem gut für mich selbst nutzen kann. Ich bin manchmal sogar dankbar für dieses Entschleunigen. Vor allem der Tisch im Wohnwagen und ein geregelter Tagesrhythmus lassen mich sehr viel Blogkram, etc. aufarbeiten. Ich habe einen Haufen neuer Ideen. Fange an, neue Dinge auszuprobieren, für die mir zuvor einfach die Zeit gefehlt hat. Meditiere, mache wieder regelmäßig Sport und lese sehr viel.
Ich kann mich wirklich nicht beschweren und ich bin jeden Tag dankbar. Mein Visum ist noch bis September 2021 gültig. Zu Hause geht es Freunden und Familie gut. Alle sind gesund, was hoffentlich so bleiben wird. Ich sitze in einem Land mit einem gutem Gesundheitssystem fest, in dem sich Festsitzen nicht falsch anfühlt. Umgeben von Kängurus und Delfinen! Ob diese Entscheidung, in Australien zu bleiben, richtig war, weiß ich nicht. Es war allerdings die Entscheidung, die sich für mich in dem Moment, als ich sie getroffen habe, richtig angefühlt hat.
Ich muss nicht erwähnen, dass jeder von uns das Virus unterschätzt hat. Hätte mir jemand vor ein paar Wochen erzählt, dass Schulen, Universitäten oder gar Landesgrenzen geschossen werden, dass Leute sich nicht mehr außerhalb ihrer Wohnung aufhalten dürfen, Millionen Menschen ihren Job verlieren oder dass der Flugverkehr weitestgehend eingestellt wird, hätte ich mir das beim besten Willen nicht vorstellen können! Ich hätte das alles für überhaupt nicht möglich gehalten. Wochen später halte ich das ehrlich gesagt immer noch nicht für möglich, aber irgendwie schafft es mein Gehirn dennoch, die ganze Situation als gegeben hinzunehmen.
Momentan versuche ich fast jeden Tag die Balance zwischen permanenter Über- oder Untertreibung zu finden. Hustet jemand, sehe ich das Coronavirus und ich weiß nicht, ob das angebracht ist. Ich sehe Menschen, die sich nach der Toilette die Hände nur mit Wasser waschen und weiß nicht, ob es mir zusteht, etwas zu sagen. Sollte ich besser auch Handschuhe und Maske beim Einkaufen tragen oder ist das übertrieben?
Ich kann beim besten Willen nicht einschätzen, was das Coronavirus für die Zukunft bedeutet. Wie einfach Reisen sein wird. Wann man sich wieder frei bewegen kann. Wie lange Grenzen geschlossen bleiben. Niemand kann das. Was wir aber alle können, ist dabei zu helfen, dass wir so schnell es geht wieder zurück zur Normalität gelangen können, auch wenn das nicht von heute auf morgen der Fall sein wird. Bleibt zu Hause, schützt ältere Personen und Menschen, die zur Risikogruppe gehören. Habt Verständnis und Geduld. Und freut euch auf die Zukunft. Denn jede Krise birgt auch neue Chancen. Versucht das Positive in der Situation zu sehen. Denkt an eure erste Reise nach Corona. An die erste Party nach Corona. An volle Parks. Ich bin mir sicher, dass wir alle diese Dinge, die so selbstverständlich waren, plötzlich wieder viel intensiver wahrnehmen und schätzen werden.
Haltet durch. Es lohnt sich!
Liebe Vanessa,
ich finde dein Corona Beitrag beschreibt die Situation der letzen Wochen sehr gut. Auch ich habe die Situation falsch eingeschätzt und mich noch anfänglich über die Hysterie lustig gemacht. Jetzt heißt es einen anderen Alltag zu leben. Entscheidungen über einen Besuch im Baumarkt oder bei seinen Eltern zu treffen. In Supermärkten hält man Abstand und bei denjenigen, die mir meiner Meinung nach zu nahe kommen, steigt mir Unverständnis und etwas Wut hoch. Komisch was das mit einem macht, obwohl ich mich selbst als relativ entspannt einschätze. Zu Beginn der Krise und dem ersten Wochenende an dem man zu Hause bleiben sollten, bin ich mit meinem Mann um den Block gegangen. In der Nähe einer Kirche ist uns eine ältere Frau aufgefallen, die sich kaum noch auf den Beinen halten konnte. Kurz darauf ist sie in ein Blumenbeet gefallen. Für mich war sofort klar, da muss ich helfen. Dennoch sagte mir mein Kopf: Stopp! Abstand halten! Eine schwierige Situation. Als ich ihr aufhalf und sie sich an mich krallte, wurde mir schnell klar, dass Alkohol der Grund für ihren Besuch im Blumenbeet war. Der Notarzt war auf dem Weg und es stellte sich heraus, dass die Frau zur Messe wollte, die natürlich nicht stattfand. Sie griff auf einer Bank sitzend immer wieder nach mir und mein Mann wurde langsam sauer. Auf mich, weil ich Kontakt zu ihr hielt. Auf sie, weil es ihr körperlich scheinbar weitestgehend gut ging und sich beherrschen sollte. Und natürlich auf die Situation, in der körperlicher Kontakt oder körperliche Nähe zum Tabu wurde.
So wie du überlegst, ob du den Leuten nochmal eine Erklärung im Händewaschen geben solltest, so werden wahrscheinlich Situationen wie meine und andere jetzt häufiger schwierig sein. Wie soll ich handeln? Wie will ich handeln?
Bleib gesund und überstehe die bedachtsame und entschleunigte Zeit,
Patrick
Hey Patrick,
Danke für den ausführlichen Kommentar. Vor allem den Punkt, dass Unverständnis und Wut hochkommen, finde ich interessant, denn mir geht es häufig genauso. Es ist wie gesagt ein ständiger Zwiespalt zwischen Unter- und Übertreibung und ich habe das Gefühl, nie wirklich ein gesundes Mittelmaß zu finden! Ich finde aber auch den Begriff social distancing ehrlich gesagt ziemlich unangebracht. Denn wir sollten uns nicht sozial distanzieren, sondern eher physisch. Physical distancing würde es alles viel besser treffen. Ich freue mich schon sehr auf die Zeit, in der Menschen wieder aufeinander zugehen können, so wie wir es alle gelernt haben und so, wie es uns als Menschen auch gut tut!